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Auf Der Suche Nach Der Einstiegsdroge – Cannabis Vs. Alkohol
5 min

Auf Der Suche Nach Der Einstiegsdroge – Cannabis Vs. Alkohol

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Seit Jahrzehnten hören wir, dass Eltern, Lehrer, Forscher und Politiker Weed als Einstiegsdroge sehen. Doch sind Themen wie Drogenmissbrauch und Abhängigkeit so simpel, dass man mit dem Finger auf nur eine einzelne Substanz zeigen darf? Und sollte es tatsächlich so etwas wie eine Einstiegsdroge geben – kommt dann wirklich Cannabis dafür in Frage?

Willkommen bei den Editorials von Zamnesia, wo unser Autor Steven seine Meinung zu allem teilt, was im Zusammenhang mit der Cannabis-, CBD- und Smartshop-Branche steht. Beachte bitte, dass es sich in all diesen Artikeln um die Ansichten des Autors handelt, die nicht unbedingt die Auffassung von Zamnesia als Unternehmen widerspiegeln. Falls Du unserem Autor und unserem Team etwas mitteilen möchtest, hinterlasse bitte einen Kommentar.

Wenn du abends einen Joint rauchst, riskierst Du, am nächsten Morgen mit einer Spritze in Deinem Arm aufzuwachen. Bei all denjenigen unter uns, die in den 80ern, 90ern und zu Beginn des neuen Jahrtausends aufgewachsen sind, stand die Theorie der "Einstiegsdroge" im Mittelpunkt der gesamten Drogenaufklärung.

Ich bin zum Beispiel in den 90ern in der Schweiz aufgewachsen und meine Eltern hielten es für eine probate Erziehungsmethode, mit uns Kindern am Zürcher Platzspitz-Park vorbeizufahren, um uns zu zeigen, "was passiert, wenn man Drogen nimmt". Und Cannabis galt als todsicherer Weg, um sich einen Platz unter den Drogensüchtigen zu reservieren, die hier bewusstlos in der Kälte lagen.

Schullehrer und das öffentliche Drogenaufklärungsprogramm wiederholten gebetsmühlenartig dieselbe Leier. Selbst heute noch hören wir Eltern, Politiker und selbst Wissenschaftler darüber debattieren, ob eine Droge wie Cannabis den Einstieg in andere, "härtere" Substanzen darstellt.

Doch was ist mit Alkohol? Er ist komplett legal und überall erhältlich und beeinflusst, wie jede andere Droge, eindeutig unser Verhalten und unsere Entscheidungsfähigkeit. Ist es vielleicht so, dass in Wirklichkeit Alkohol die wahre Einstiegsdroge ist?

WIE ALKOHOL DAS GEHIRN BEEINFLUSST

Wie Alkohol Das Gehirn Beeinflusst

Alkohol kann eine Sache richtig gut: Er verändert, wie wir uns gerade fühlen. Das gelingt ihm, indem er die Art und Weise beeinflusst, wie unsere Gehirnzellen miteinander kommunizieren.

Gehirnzellen, die man auch Neuronen nennt, setzen für ihre Kommunikation unter einander Neurotransmitter ein. Diese Neurotransmitter dienen als winziger, chemischer Nachrichtendienst, der Botschaften von einem Neuron zum nächsten übermittelt.

Alkohol beeinflusst direkt die Übertragung bestimmter Neurotransmitter im Gehirn. Genauer gesagt hemmt Alkohol die Glutamat- und erhöht die GABA-Übermittlung. Glutamat ist ein erregender Neurotransmitter, der die Wahrscheinlichkeit des Abfeuerns von Neuronen erhöht, während GABA ein hemmender Neurotransmitter ist, der die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Neuronen Nachrichten übertragen.

In der Folge sinkt der Informationsfluss im Gehirn. Das ist im Wesentlichen der Grund, warum wir betrunken weniger fühlen, wahrnehmen und bemerken. Es ist ebenso der Grund, warum Betrunkene gerne an einem Gedanken festhängen, wie zum Beispiel "Das ist die beste Nacht ever!!". Diese Wirkung ist auch dafür verantwortlich, dass Alkohol als Beruhigungsmittel gilt, da er sowohl unser zentrales wie auch peripheres Nervensystem unterdrückt.

Interessanterweise hemmt Alkohol zwar unsere Gehirnfunktionen, aber nicht unser Sozialverhalten. Schließlich liegt einer der Hauptgründe, warum wir Alkohol so mögen, darin, dass er unsere Hemmungen senkt und dafür sorgt, dass wir uns in Gesselschaft etwas freier und offener fühlen.

Ebenso erzeugt Alkohol eine offensichtliche Euphorie, die, gepaart mit verminderten sozialen Hemmungen, dazu führt, dass wir auf einmal den Mut haben, mit einem Fremden zu reden oder auf einem Tisch stehend zu Shania Twain zu tanzen.

Im Endeffekt bedeutet all das, dass der Alkohol seinen Erfolg als soziales Schmiermittel dem Fakt verdankt, dass er unsere Hemmungen senkt und es wahrscheinlicher macht, dass wir uns ganz anders als gewohnt verhalten (sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht). Wenn wir also nach einem Sündenbock suchen, den wir für das Problem der weltweiten Drogenabhängigkeit verantwortlich machen können, dann fällt es eigentlich schwer, eine bessere "Einstiegsdroge" auszumachen als den Alkohol.

Wenn Du das jetzt liest und Dir denkst "Cannabis hat genauso wie Alkohol Einfluss auf unsere Hemmungen, unsere Entscheidungsfindung und unser Verhalten", dann hast Du natürlich recht. Cannabis kann vielen Menschen helfen, ihre sozialen, kreativen oder gar sexuellen Hemmungen zu verringern. Doch bedeutet das auch, dass die Erfahrung eines Cannabis-Highs die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich jemand auf die Jagd nach anderen, härteren Substanzen macht?

CANNABIS IST KEINE EINSTIEGSDROGE

Cannabis Ist Keine Einstiegsdroge

2016 schrieb der Vorstand des US Institute for Behavior and Health, Dr. Robert L. DuPont, eine Kolumne in der New York Times mit dem Titel "Marihuana ist erwiesenermaßen eine Einstiegsdroge". Dr. DuPont beginnt seine Ausführungen mit dem uralten Argument, dass für die Mehrheit der Heroinabhängigen die Reise in die dunkle Welt der Drogen mit Cannabis begonnen habe.

Das lässt sich schlecht abstreiten. Ohne Frage haben die meisten Heroinabhängigen vermutlich auch schon Cannabis versucht. Doch das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die meisten Cannabiskonsumenten nach einer Steigerung suchen und Heroin oder andere härtere Substanzen probieren. Vielmehr haben Studien gezeigt, dass die meisten Leute, die Cannabis versuchen, nicht einmal zu regelmäßigen Cannabiskonsumenten werden.

In einer Umfrage von 2017 befragten die Marist University und Yahoo News 1122 erwachsene US-Bürger am Telefon über ihre Erfahrungen mit Cannabis. Die Studie ergab, dass 52% der befragten Erwachsenen Weed probiert hatten, während 22% es aktuell konsumieren (was in der Studie als ein mindestens 1 bis 2-maliger Konsum im vergangenen Jahr definiert wurde). Dagegen sagten nur 14% der befragten Personen aus, dass sie im vergangenen Monat mindestens 1–2 Mal Cannabis konsumiert hätten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Cannabiskonsumenten eine Abhängigkeit oder ein "problematisches Cannabis-Konsummuster" entwickeln, ist sogar noch weitaus geringer. Gemäß den Daten des US National Institute on Drug Abuse entwickeln nur 9% der Personen, die Cannabis konsumieren, auch eine Abhängigkeit.

In seinem Bericht "Die wahre Einstiegsdroge" verdeutlicht das American Addiction Center, dass Cannabis nicht die erste Droge ist, mit der Menschen experimentieren. Das AAC berichtet darin von Gesprächen mit über 1000 Amerikanern über die Anfänge und die eventuelle Weiterentwicklung ihrer Experimente mit Drogen. Von den Teilnehmern, die Alkohol konsumiert hatten, gaben nahezu 66% an, dass es die erste Droge war, die sie je versucht hatten. Bei 23,8% der Personen nahm der Tabak die Rolle der ersten Droge ein, während nur 18% aussagten, sie seien mit Cannabis "eingestiegen".

Tatsächlich legen einige Studien nahe, dass Cannabis vielmehr sogar helfen kann, von anderen abhängig machenden Stoffen loszukommen. In einer bereits 2014 im Journal of The American Medical Association veröffentlichten Studie fand man zum Beispiel heraus, dass in US-Staaten mit legalem Zugang zu medizinischen Marihuana eine um 25% geringere Todesrate durch Opioid-Überdosierungen zu verzeichnen war. Das liegt daran, dass Cannabis den Menschen eine wirksamere Erleichterung von Schmerzen und anderen Krankheitssymptomen bieten kann, die nicht mit den Gesundheitsrisiken einhergeht, die verschreibungspflichtige Medikamente kennzeichnen.

DIE THEORIE DER EINSTIEGSDROGE ÜBERDENKEN

DIE THEORIE DER EINSTIEGSDROGE ÜBERDENKEN

Was bedeuten all diese Tatsachen für die Theorie der Einstiegsdroge? Ist sie kompletter Unsinn, oder steckt etwas Wahrheit in dem Argument, dass jemand, der einmal Drogen probiert hat, mit höherer Wahrscheinlichkeit auch andere Substanzen ausprobiert?

Nun, es gibt Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass einige Drogen bestimmte Belohnungszentren im Gehirn stimulieren können, was tatsächlich dazu führt, dass ihren Nutzern andere Substanzen verlockender erscheinen.

In einer 2017 in Science Advances veröffentlichten Studie konnte man zeigen, dass Ratten, denen man Alkohol gab, mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit auch einen Hebel betätigten, von dem sie wussten, dass nach seiner Betätigung eine Kokaingabe erfolgt. Tatsächlich gibt es sogar mehrere sehr interessante Forschungsarbeiten, die eine Verbindung zwischen genau diesen beiden Drogen herstellen.

Sogar im zuvor erwähnten Bericht des American Addiction Centers wurden einige Muster im Substanzkonsum herausgearbeitet; beispielsweise sind Halluzinogene wie psilocybinhaltige Pilze und LSD meist die 4. konsumierte Substanz, während Kokain meist die 5. Position einnimmt.

Diese Ergebnisse sind definitiv interessant und rufen geradezu nach weiteren Untersuchungen über den Drogenkonsum und dessen Wirkmechanismen. Wie dem auch sei, es gibt zahlreiche überzeugende Belege dafür, dass soziale Faktoren wie die geistige Gesundheit und Armut einen Einstieg in Drogenkonsum und Abhängigkeit viel wahrscheinlicher machen.

Zudem hat auch die Natur des Drogenmarkts selbst Einfluss darauf, in welcher Form Menschen Drogen nutzen und missbrauchen. In Ländern wie den Niederlanden ist der Konsum von Cannabis und halluzinogenen Pilzen weitaus weniger häufig als in Ländern, in denen diese Substanzen noch kriminalisiert werden. 

BEENDEN WIR DIE EINSTIEGSDEBATTE

Beenden Wir Die Einstiegsdebatte

Erhöht also das Experimentieren mit einer Droge das Risiko, dass der Nutzer auch andere Drogen versucht? Nun, vielleicht. Doch das Verständnis der Drogenabhängigkeit und das Verständnis dafür, was Menschen dazu bringt, eine Substanz aufgrund einer anderen zu konsumieren, ist viel zu komplex, als dass man mit dem Finger auf nur eine einzelne Substanz zeigen dürfte.

Falls Du jedoch weiterhin davon ausgehen möchtest, dass Einstiegsdrogen existieren, dann empfehle ich Dir, eher den Alkohol (und unseren laschen Umgang mit ihm) als Einstiegdroge zu sehen, und nicht Cannabis.

Steven Voser
Steven Voser
Steven Voser ist ein unabhängiger Cannabisjournalist mit über 6 Jahren Schreiberfahrung über alle relevanten Cannabisthemen. Er schreibt darüber wie man es anbaut, wie man es am besten genießt und auch über die boomende Industrie und die undurchsichtige rechtliche Lage.
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